Pressemitteilung
Aus der Krise nichts gelernt
Der Finanzexperte Günter Grzega sprach in Feucht zu den Ursachen der Finanzkrise, der Griechenlandkrise und ging auch auf die geplanten Freihandelsabkommen ein. Wichtig waren ihm während des Vortrags und den Zuhörern bei der anschließenden Diskussion aber auch die möglichen Wege aus der Krise: Rückbesinnung auf die ökonomischen Grundprinzipien, Rahmenfestsetzung des Staates im Bankensektor und Orientierung hin zu einer Ökonomie, die dem Gemeinwohl verpflichtet ist.
Mit der Verpflichtung zu einer gemeinwohlorientierten Wirtschaftsweise begann Günter Grzega denn auch seinen Streifzug durch die Auswüchse eines entfesselten Casino-Kapitalismus. Denn in der Bayerischen Verfassung ist in Artikel 151 eindeutig von einer dem Gemeinwohl dienenden Wirtschaft die Rede. Diese soll den Lebensstandard aller gesellschaftlichen Schichten verbessern, ebenso sind unsittliche Arbeitsverträge, insbesondere alle wirtschaftlichen Ausbeutungsverträge rechtswidrig und nichtig. Dieses Verfassungsziel sieht der ehemalige Vorstandsvorsitzende von Bayerns größter Genossenschaftsbank, der Sparda-Bank München als eindeutig nicht erreicht an.
Nicht zuletzt aus diesem Grund engagiert sich Grzega schon seit Längerem im Senat der Wirtschaft Deutschland, einem eher im Hintergrund agierenden Zusammenschluss von etwa 500 Wissenschaftlern, Managern und Unternehmern, die sich zum Ziel gesetzt haben, mit Nachhaltigkeit eine ökosoziale Marktwirtschaft zu etablieren. Dem Senat gehören u. A. Prof. Rademacher, Hans-Dietrich-Genscher, Heiner Geißler oder „Mr. Dax“ Dirk Müller an.
Grzega sieht eine der Hauptursachen in der momentan verfahrenen Situation darin, dass dem Bankensektor im Zuge der „Reagonomics“ sämtliche Regularien und Fesseln erlassen wurden. Mit der Folge immer abenteuerlicherer Derivate, völlig überzogener Managergehälter und Boni-Regelungen, die kein Mensch mehr nachvollziehen kann. Schließlich richten sich Boni nicht an einer guten Problemlösung für den Kunden sondern der möglichst maximalen Gewinnsteigerung der Banken bzw. Unternehmen.
Als Lösung schlägt er vor, Aktien wieder zu dem zu machen, was sie dem Ursprung ihres Wesens nach sind: Nämlich Unternehmensbeteiligungen. War es früher allgemein üblich und verbreitet, diese Wertpapiere zehn Jahre und länger im Besitz zu halten, sank diese Dauer durch immer weiter gehende Spekulationen auf gegenwärtig nur noch neun Monate, im Computerhandel gar nur noch 22 Sekunden. Daher sollen Kursgewinne analog der Immobilienregel im Erbschaftsrecht nach einjähriger Haltedauer mit 90% besteuert werden, nach zweijähriger Haltedauer mit 80% usw. bis sie nach zehnjähriger Haltedauer steuerfrei geworden sind. Grzega verspricht sich davon eine Rückkehr zu echter Unternehmerkultur. Als zweites Steuerungselement spricht er sich für die Einführung einer Transaktionssteuer aus.
Im Rückblick auf die Welt-Finanzkrise ab 2008 verneint er die Hauptursache in der amerikanischen Immobilienblase. Sicher war es wider jeglicher kaufmännischer Vernunft, Mittellosen ohne Eigenanteil Immobilien zu 100% zu finanzieren. Doch auch ohne diese abstrusen Praktiken wäre der Crash über kurz oder lang gekommen. Hauptursache war vielmehr der Umbau des Finanzsektors von einem Dienstleister der Realwirtschaft zu einem deregulierten, fast unbeaufsichtigten Casino.In diesem ließen viele „Hütchenspieler“ – also Falschspieler – den Kunden gar keine Chance. Grzega wörtlich: „Oder wie soll man die bekannt gewordenen Manipulationen von Referenz-Zinssätzen, Devisenhandel, Mehrfach-Steuerrückerstattungen und ähnlichen Machenschaften durch die Geldhändler der Finanzkonzerne sonst nennen?“
Das von ihm angestrebte weitgehende Verbot von Derivaten – Ausnahme sollten nur Absicherungen von Warentermingeschäften sein – belegte er mit eindrucksvollen Zahlen: Während sich das gesamte Bruttoinlandsprodukt (BIP) des Planeten im Jahr 2014 auf ca. 77 Billionen US-Dollar belief, hatten die zu dieser Zeit gehandelten Derivate ein geschätztes Volumen von 710 Billionen US-Dollar. Dies könne man nur als Irrsinn bezeichnen.
Die Frage des Abends, ob man aus der Krise etwas gelernt habe, beantwortete er wie folgt: „Nein, nein und nochmals nein! Die vollmundig angekündigten Maßnahmen zur Regulierung des Bankensektors seien bis auf wenige kosmetische Ausnahmen vollständig ausgeblieben. Einzig die Bürokratie für Sparkassen und Genossenschaftsbanken sei erhöht worden, an die Wurzel traute man sich aber nicht heran. Er zog dabei einen Vergleich mit dem Straßenverkehr: „Selbst für so eine an sich simple Sache haben wir ein Gesetzeswerk mit hunderten von Paragraphen. Der Finanzmarkt soll nach der Meinung der Neoliberalen aber praktisch gänzlich ohne Regeln auskommen.“
Sechs Thesen stellte Grzega auf, um wieder ein funktionierendes Bankensystem zu schaffen: 1. weitestgehende Abschaffung von Derivaten; 2. Banken-TÜV, der neue Finanzprodukte überprüft und zulässt; 3. Regulierung und Beseitigung des Banken-Schatten-Systems; 4. Austrocknung der Steuer-Oasen; 5. Einführung einer Finanztransaktionssteuer, die einhergehen muss mit mehr Transparenz, wann wo welche Summen um den Erdball geschoben werden; 6. Rückführung des Bankensystems in seine ureigensten Aufgaben als Dienstleister der Realwirtschaft
Als Beleg für die immer größer werdende Schere zwischen Arm und Reich stellte er Zahlen vor, demzufolge die 85 reichsten Menschen der Welt 50% des weltweit vorhandenen Vermögens besitzen. Also 85 Menschen besitzen gleich viel wie 3,6 Milliarden. Weiter: Etwa ein Prozent der Weltbevölkerung hat genau so viel Vermögen wie die restlichen 99%. In diesem Zusammenhang zitierte er einen der reichsten Menschen der Welt, Warren Buffet, der die aktuelle Situation als „Krieg der Reichen gegen die Armen“ bezeichnet und verlas auch einen Brief des Milliardärs Nick Hanauer, der die amerikanische Gesellschaft auf Grund der immer größer werdenden Ungleichgewichte auf dem Weg von einer kapitalistischen Gesellschaft hin zu einer Feudalgesellschaft sieht. Diese Ungleichgewichte können nicht auf Dauer aufrechterhalten werden, weshalb als erster Schritt ein Polizeistaat nur logische Konsequenz sei.
Natürlich fehlte auch der Verweis auf Papst Franziskus nicht, der in seinem kürzlich veröffentlichten Lehrschreiben „Evangelii Gaudium“ schrieb: „Die Anbetung des antiken goldenen Kalbs hat eine neue und erbarmungslose Form gefunden im Fetischismus des Geldes und in der Debatte einer Wirtschaft ohne Gesicht und ohne ein wirklich menschliches Ziel.“
Nach einem Exkurs zu den geplanten Freihandelsabkommen, die auch nach seiner Meinung den Mittelstand massiv gefährden und praktisch nur international agierenden, kapitalstarken Konzernen dienen, wie nicht zuletzt die Erfahrungen mit dem nordamerikanischen Gegenstück NAFTA bewiesen haben, kam er schließlich auch auf die Griechenland-Krise ausführlich zu sprechen. Auch er sieht einen Kardinalsfehler darin, dass Griechenland wider besseres Wissen aus politischen Gründen der Beitritt zur Euro-Zone überhaupt gestattet worden war. Viel tiefere Ursachen liegen aber darin, dass der Euro-Raum nicht wie es für einen Währungsraum unablässig wäre auf Kooperation aufgebaut ist sondern auf Konkurrenz. Auch Deutschland verletze durch seine ständigen Handelsbilanz-Überschüsse die Kernregeln internationalen Handels auf Kosten Anderer. Bereits die wirtschaftlichen Triebfedern der ersten großen Koalition – Franz-Josef Strauß und Karl Schiller, genannt Plüsch und Plum - hätten erkannt, dass es einen dauerhaften Überschuss oder Saldo in der Handelsbilanz eines Landes nicht geben darf. Dies haben sie 1967 im Stabilitätsgesetz auch so festgehalten. Und gegen dieses wird nun Jahr für Jahr verstoßen, die Krise dadurch angeheizt und in Deutschland klopft man sich dafür auch noch selber auf die Schultern.
Ergänzend haben wir in Deutschland seit etlichen Jahren immer wieder gegen das makroökonomische Grundprinzip verstoßen, demzufolge die Löhne in dem Maße steigen sollen, wie die Produktivität gewachsen ist zuzüglich der Inflationsrate. Durch diesen Verstoß sei die Binnennachfrage abgewürgt worden und wir seien immer mehr vom Export abhängig geworden.
Schließlich kam Grzega dann zum Kernpunkt des Abends: Der Einführung einer Gemeinwohl-Ökonomie. Diese vom österreichischen Wissenschaftler Christian Felber initiierte Bewegung fußt auf dem Gedanken, dass Unternehmen nicht nur den Shareholdern, also den Anteilseignern, sondern den Stakeholdern, also alle mit einem Unternehmen verbundenen Personen einen Nutzen aus der unternehmerischen Tätigkeit ziehen sollen. Damit schloss sich auch der Kreis zu dem eingangs erwähnten Artikel aus der bayerischen Verfassung, der unternehmerische Tätigkeit dem Gemeinwohl verpflichtet beschreibt. Dazu stellte Herr Grzega nochmals zehn Punkte auf, unter anderem soll jedes bilanzierungspflichtige Unternehmen neben der Finanzbilanz auch eine zertifizierte Gemeinwohlbilanz aufstellen. Dass dies keine Utopie ist beweisen zahlreiche Unternehmen, die dies bereits täten, auch wenn der Weg dahin nicht immer leicht ist. Auch zahlreiche Kommunen, nicht nur in Europa, gehen diesen Weg bereits.
In der anschließenden Diskussion wollten die Zuhörer mehr über die Euro-Rettung wissen aber auch über die Gemeinwohl-Ökonomie. Da eine ausführliche Einführung in die Thematik den Rahmen des Abends aber gesprengt hätte, bot Günter Grzega an, dieses Thema in einem weiteren Vortrag in der nächsten Zeit separat zu behandeln. Dieses Angebot wurde von den anwesenden Gästen mit großem Interesse angenommen.